

37
Die Corona-Krise in der Berichterstattung
Einsichten und Perspektiven 2 | 20
tisierenden Berichterstattung die Risikoeinschätzung auf
Publikumsseite geprägt hat. Auch die Bildsprache der
Boulevardzeitung in der Frühphase der Pandemie ist pro-
blematisch. Die Redaktion entwickelte geradezu ein eige-
nes Branding für Corona-Meldungen: Fotos wurden gelb
eingefärbt (z. B. die Szene eines Krankentransports)
33
,
einzelne Begriffe gelb hervorgehoben und sogar ganze
Schlagzeilen gelb hingerlegt (etwa das Wort "Käfige" oder
die Frage "Fledermäuse ausrotten").
34
Selbst Grafiken wie
der Corona-Atlas wurden in gelber Farbgebung gehalten.
Diese Art der Visualisierung erzeugt einerseits einen sofor-
tigen Wiedererkennungswert, andererseits ist eine solche
Bildsprache problematisch, weil sie Assoziationen zur Ras-
sentheorie des 18. Jahrhunderts mit ihren Klassifizierun-
gen von Hautfarben wecken kann.
35
33
Bild.dev. 11.03.2020, vgl.
https://m.bild.de/news/corona/coronavirus/co-rona-69368756.bildMobile.html [Stand: 15.07.2020].
34 Ebd. und
Bild.dev. 11.04.2020, vgl.
https://www.bild.de/politik/ausland/politik-ausland/corona-fledermaeuse-ausrotten-fragen-die-wir-china-
stellen-muessen-69979422.bild.html [Stand: 15.07.2020].
35 Vgl. Michael Keevak: Becoming Yellow: A Short History of Racial Thinking,
Princeton/Oxford 2011.
Realität und Medienrealität in der Corona-Krise
Wie gut kommen Journalist*innen also dem Informati-
onsauftrag in der Corona-Pandemie nach? Die hier vorge-
stellten Beispiele machen deutlich, dass eine einheitliche
Bewertung nicht möglich ist, weil es nicht „die“ Berichter-
stattung gab und gibt. Solange auch noch keine belastbare
empirische Forschung zu dieser Frage vorliegt, ist jedes
Urteil zu dieser Frage vorschnell gefällt. Das heißt aber
nicht, dass Rezipient*innen bis zu einer Experteneinschät-
zung der aktuellen Berichterstattung unreflektiert gegen-
überstehen müssen. Auch wenn zum jetzigen Zeitpunkt
noch keine empirischen Studien zur Berichterstattung in
der Pandemie vorliegen, so kann die obige Analyse doch
wenigstens kursorisch anhand von Beispielen aufzeigen,
auf welchen Entscheidungsregeln und Arbeitsroutinen die
Coronaberichterstattung aufbaut. Gerade in einer akuten
Pandemie stellen die Medien mit ihrer Berichterstattung
die wichtigste Informationsquelle der Bevölkerung dar:
Können wir unsere Einschätzungen und Urteile nicht auf
eigenen Erfahrungen aufbauen, dann stellt die Berichter-
stattung eine zentrale Grundlage für unsere Risikobewer-
tung zur Verfügung. Das Wissen um die „Grammatik“
36
des Journalismus kann dabei helfen, die recht dramati-
sche und sensationalistische Berichterstattung mancher
Medien gerade in der Frühphase der Pandemie zu hin-
terfragen und besser einzuordnen. Mit dem Wissen, dass
journalistische Auswahl- und Kontextualisierungsprakti-
ken die soziale Realität nicht eins zu eins abbilden, son-
dern eine eigene Medienrealität erzeugen, kann man diese
Art der Berichterstattung relativieren und nach alternati-
ven Informationsquellen suchen, um solche Meldungen
zu überprüfen. Denn mit solch einfachen Mitteln wie
einer zweiten oder dritten Quelle lassen sich die meisten
Informationen zum aktuellen Tagesgeschehen schnell prü-
fen und besser einordnen.
36 Altheide/Snow (wie Anm. 6).
Screenshot von
www.bild.de,11.04.2020