Länder und Bund heute – Gespräch mit Ferdinand Kramer

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Foto: Institut für Bayerische Geschichte der LMU München, Fotograf: Markus Schlaf
 
Prof. Dr. Ferdinand Kramer ist Inhaber des Lehrstuhls für Bayerische Geschichte und Vergleichende Landesgeschichte mit besonderer Berücksichtigung der Neuzeit sowie Vorstand des Instituts für  Bayerische Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität.

Der Bayerische Landtag lehnte das Grundgesetz letztlich ab. War das aus heutiger Sicht ein kluger Schachzug, wenn man bedenkt, dass diese Entscheidung heute oftmals als „bayerischer Sonderweg“ deklariert wird?

Ferdinand Kramer: Zum einen gab es die feste Überzeugung mancher Akteure, dass das Grundgesetz zwar grundsätzlich föderal ausgestaltet war, jedoch Dynamiken möglich sein würden, durch die die Kompetenzen der Länder wieder hätten infrage gestellt werden können. Betrachtet man die Entwicklung der letzten 70 Jahre, dann stellt man fest, dass diesbezüglich die kritischen Stimmen von damals durchaus recht hatten: Der Bund zog immer mehr Kompetenzen an sich, die ursprünglich das Grundgesetz den Ländern zugewiesen hatte. Dabei wurde die Finanzverfassung zum Nervus Rerum für die bayerische Föderalismuspolitik nach 1945. Die Erzberger‘sche Finanzreform von 1919/20, im Rahmen derer das Reich die Steuerertragshoheit bei den ergiebigsten Steuern an sich zog, hatten viele Politiker in Bayern, auch Anton Pfeiffer, als eine Art Knockout der bayerischen Staatlichkeit erlebt. Vor diesem Hintergrund blieb eine Skepsis über entsprechende Regelungen im Grundgesetz. Über die Kompetenzen zur Verteilung der Finanzen zwischen Bund, Ländern und Kommunen könnte letztlich die Staatlichkeit der Länder ausgehöhlt werden. Tatsächlich gab es bald die Situation, dass der Bund mit seiner Finanzhoheit und -kraft Länderkompetenzen gleichsam „auskaufte“. Insofern war die Ablehnung des Grundgesetzes kein Reflex, den man nur mit „bayerischen Sonderwegen“ erklären kann, sondern auch eine bedachte Entscheidung auf Grundlage der Frage, welche Dynamik dieser künftige Bundessstaat entwickeln würde. Und natürlich hat der Landtag mit der Ablehnung des Grundgesetzes gleichzeitig dessen Rechtsgültigkeit bejaht, wenn zwei Drittel der Länder zustimmen würden, woran kein Zweifel bestand.

Wenn man die Rezeption des Konvents in den Blick nimmt, stellt man fest, dass der Konvent natürlich von den Zeitgenossinnen und -genossen wahrgenommen wurde, es in den folgenden Jahrzehnten aber ein gewisses Desinteresse gab. Erst ab den späten 1980er und dann vor allem in den 1990er Jahren trat der Konvent wieder in das öffentliche Bewusstsein. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Ferdinand Kramer: Anfang der 90er Jahre fand eine öffentliche Debatte darüber statt, ob das Grundgesetz für das vereinigte Deutschland gelten oder eine neue Verfassung erarbeitet werden sollte. Diese Debatte war hilfreich, um das Grundgesetz gleichsam neu zu legitimieren, auch bei den ehemaligen DDR-Bürgerinnen und -bürgern. Darin liegt gewiss ein Erklärungsansatz. Und auch in der föderalen Debatte wurde neu auf den Konvent geblickt. Zum einen wurde die Zahl der Länder größer und damit veränderte sich die Rolle Bayerns im Verbund der Länder. Zum anderen schritt die europäische Integration voran, die in Bayern seit jeher ein politisches Ziel gewesen war und die nun konkret wurde und die Frage der Ausgestaltung mit sich brachte. Ministerpräsident Max Streibl hat große Verdienste daran, dass im Vertrag von Maastricht Subsidiarität, also faktisch Föderalismus als Bauprinzip und DNA der europäischen Integrationsprozesse, festgeschrieben wurde. Das gilt auch für den neu geschaffenen Ausschuss der Regionen im europäischen Institutionengefüge, dessen Wirkung zwar umstritten ist. Er verdeutlicht gleichwohl eine Ebene von Staatlichkeit, die zunächst im europäischen Integrationsprozess bewusst gemacht werden musste. Von daher ist es stimmig, dass man in den 90er Jahren aufgrund der Aktualität von Verfassungsfragen wieder stärker an den Konvent erinnerte und damit auch darauf aufmerksam machte, dass man bei den aktuellen Entwicklungen einen Mit-Gestaltungsanspruch geltend machen musste.

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Das ganze Interview findet sich im Themenheft „75 Jahre Verfassungskonvent von Herrenchiemsee“ oder auf der Webseite der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit (www.blz.bayern.de).
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