Themenforum Oberwiesenfeld

Ulrike Nasse-Meyfarth bei der Eröffnung des „Festivals des Spiels, des Sports und der Kunst“

Ein Interview mit der zweifachen Olympiasiegerin Ulrike Nasse-Meyfarth

Bild: Ulrike Nasse-Meyfarth bei der Eröffnung des „Festivals des Spiels, des Sports und der Kunst“ zum Jubiläum der Olympischen Spiele 1972 in München, 1. Juli 2022

Foto:  picture-alliance/dpa/Fotograf: Sven Hoppe

„Auch nach fünfzig Jahren ist der Olympiapark noch unvergleichlich – und er lebt ja auch noch“
 
Ulrike Nasse-Meyfarth, geboren 1956 in Frankfurt am Main, gewann bei den Olympischen Spielen 1972 in München mit 16 Jahren die Goldmedaille im Hochsprung und wurde damit zur jüngsten Leichtathletik-Olympiasiegerin in einer Einzeldisziplin – ein Rekord, den sie bis heute hält. Nach einer sportlich schwierigen Phase im Anschluss an die Spiele in München galt sie schließlich im Vorfeld der Olympischen Spiele 1980 in Moskau wieder als Medaillenanwärterin. 1982 stellte die Athletin bei der Europameisterschaft in Athen einen neuen Weltrekord auf, im folgenden Jahr gewann sie bei der Weltmeisterschaft in Helsinki die Silbermedaille. Bei den Olympischen Spielen in Los Angeles 1984 konnte sie erneut Olympiagold im Hochsprung gewinnen – damals als älteste Leichtathletik-Olympiasiegerin. Ulrike Nasse-Meyfarth ist Diplom-Sportlehrerin und war zwischen 1999 und 2022 für den TSV Bayer 04 Leverkusen in der Talentsichtung, der Fortbildung von Lehrkräften und dem Training von Leichtathletik-Schülerinnen und -Schülern tätig. Sie engagiert sich für krebskranke und organkranke Kinder und unterstützt seit 2016 die Hospizarbeit für kranke Kinder.
Ulrike Nasse-Meyfarth wurde zwischen 1981 und 1984 viermal in Folge zur Sportlerin des Jahres gewählt. 2011 wurde sie in die Hall of Fame des deutschen Sports aufgenommen.      
 
 
E+P: Sie haben in früheren Interviews mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass Sie trotz Ihres Erfolgs in zwei Olympiaden meist zunächst zu Ihrem Olympiasieg in München gefragt werden. Wir möchten anders beginnen: Welche Bedeutung hatte es für Sie, zwölf Jahre nach Gold im Hochsprung die olympische Goldmedaille noch einmal zu gewinnen?
 
Ulrike Nasse-Meyfarth: Nachdem mir 1972 die Medaille gleichsam in den Schoß gefallen war, nahm ich mir vor, mir diese Goldmedaille 1984 noch einmal bewusst zu erarbeiten. Die Medaille von Los Angeles ist die sportlich wertvollere von beiden.
 
E+P: Wie schwierig war der Weg dahin, nachdem Sie zunächst nicht mehr an die Leistungen von 1972 anknüpfen konnten?
 
Ulrike Nasse-Meyfarth: Als völlig unerfahrenes und sich mitten in der Entwicklung befindliches Mädchen kam ich, was Wunder, mit der auf mich einstürzenden Öffentlichkeit und mit der Erwartungshaltung nicht zurecht. Die richtige Basis für den Leistungssport konnte ich mir erst im fortgeschrittenen Alter, eben als Frau, erarbeiten.
 
E+P: Bei den Olympischen Spielen 1980 galten Sie als Medaillenanwärterin. Das Nationale Olympische Komitee der Bundesrepublik schloss sich dem Boykottaufruf der USA aufgrund des Einmarsches der UdSSR in Afghanistan an, sodass schließlich keine deutschen Athletinnen und Athleten an den russischen Spielen teilnahmen. Wie standen Sie damals zu dieser Entscheidung?    
 
Ulrike Nasse-Meyfarth: Die Entscheidung ist katastrophal gewesen, ganz einfach. Man arbeitet jahrelang und dann wird ein politischer Konflikt auf den Rücken der Sportlerinnen und Sportler ausgetragen.
 
E+P: Waren Sie selbst damals auch davon ausgegangen, dass Sie um Gold mitspringen würden?
 
Ulrike Nasse-Meyfarth: Nicht unbedingt, ich war damals recht nah an der Weltspitze. Ich habe aber nicht unbedingt damit gerechnet, um Gold mitzuspringen. Sicherlich hatte ich mich intensiv auf die Spiele in Moskau vorbereitet, wie alle deutschen Athletinnen und Athleten.
 
E+P: Halten Sie einen diplomatischen Boykott, wie er von vielen Staaten bei den Olympischen Winterspielen in diesem Jahr praktiziert wurde, für einen sinnvolle(re)n Weg, um für ein Wertesystem auf der sportlichen Bühne einzutreten, oder ist Olympia für Sie ein Feld, auf dem man keine politischen Konflikte austragen soll?
 
Ulrike Nasse-Meyfarth: Für mich müssen Politiker nicht unbedingt dabei sein bei politischen Spielen. Der Effekt eines diplomatischen Boykotts ist meines Erachtens überschaubar. Ich glaube, dass Xi Jinping und Wladimir Putin sich gut verstanden haben in Peking und sich von dem Boykott nicht haben beeindrucken lassen.
 
E+P: Das Internationale Olympische Komitee spricht sich für eine Trennung von Sport und Politik aus, auch wenn mittlerweile Artikel 50 der Olympischen Charta dahingehend geändert wurde, dass Athletinnen und Athleten nun beispielsweise bei Interviews oder in den sozialen Medien ihre Meinung äußern dürfen, sofern dieses im Einklang mit den Grundprinzipien der Olympischen Bewegung steht. Inwieweit ist für Sie eine Trennung zwischen dem sportlichen und dem politischen Bereich nachvollziehbar? Begrüßen Sie die Abänderung des Artikels?
 
Ulrike Nasse-Meyfarth: Die Lockerung von Regel 50 halte ich für ein Scheingebilde. Das IOC will nicht, dass sich die Sportlerinnen und Sportler während der Olympischen Spiele kritisch äußern, und ich kann keiner bzw. keinem vorhalten, dass er sich nicht äußert – weder vor noch während der Spiele. Die Athletinnen und Athleten wollen ihren Sport machen, ihre sportlichen Ziele erreichen und sich nicht irgendwelchen Repressalien aussetzen. Denn was passiert Sportlerinnen und Sportlern in Peking, wenn sie sich kritisch äußern? Sie laufen Gefahr, daraufhin festgenommen oder in anderer Form bestraft zu werden.
In den Medien wird vorab ausführlich über die politischen Zustände in den jeweiligen Austragungsländern berichtet. Man weiß ja um die dortigen Bedingungen. Die Sportlerinnen und Sportler müssen aber letztlich in das jeweilige Land reisen, das vom IOC ausgewählt wurde, und „gute Miene zum bösen Spiel“ machen. Sie selbst haben ja keinen Einfluss auf die Vergabe der Olympischen Spiele.
 
E+P: Kommen wir nun zu den Olympischen Spielen 1972 in München. Unser Themenheft beschäftigt sich insgesamt mit dem Areal, auf dem die olympischen Sportstätten errichtet wurden. Wie haben Sie damals München und speziell die olympischen Bauten wahrgenommen?
 

Ulrike Nasse-Meyfarth: Die Architekten und der Grafiker Otl Aicher haben Einzigartiges geschaffen. Auch nach fünfzig Jahren ist der Olympiapark noch unvergleichlich – und er lebt ja auch noch. Das sieht man bei vielen anderen Olympiaparks nicht. Die Piktogramme von Otl Aicher als Teil der Corporate Identity der Spiele waren für mich besonders beeindruckend. Er schaffte damit eine globale Sprache. Und natürlich das Zeltdach – das ist immer noch beeindruckend!
Ich fand es schön, dass damals die ganze Stadt in das olympische Geschehen einbezogen war. Das war einzigartig, anders als beispielsweise in Los Angeles, wo man auf der einen Seite der Stadt nicht mitbekam, dass auf der anderen Seite die Olympischen Spiele stattfanden.
 
E+P: Kamen Sie in den darauffolgenden Jahren und Jahrzehnten bewusst nach München und in das Olympiastadion, um den Erfolg emotional noch einmal nachzuempfinden?
 

Ulrike Nasse-Meyfarth: Ich war bei diversen Veranstaltungen im Münchner Olympiastadion, zum Beispiel vor Jahren bei den Leichtathletik-Europameisterschaften oder jüngst beim Treffen der Medaillengewinner von 72. Klar weckt das Erinnerungen. Aber ich kam nicht mit der Intention nach München, den Tag noch einmal nachzuempfinden. Das sehe ich alles sehr sachlich.
  
E+P: Störte es Sie, dass der Fußball, der andere Sportarten und auch die Leichtathletik in Deutschland in den Schatten stellte und stellt, in den folgenden Jahrzehenten sehr dominant in das Olympiastadion, wo Sie Ihren großen Leichtathletik-Erfolg feierten, Einzug hielt? 
 
Ulrike Nasse-Meyfarth: Grundsätzlich stört der überdominante Fußball immer (lacht). Es ist furchtbar, wenn Stadien – wie zum Beispiel in Stuttgart oder in Köln – umgebaut und dabei Leichtathletik-Bahnen entfernt werden, um die Zuschauerinnen und Zuschauer näher an das Spielgeschehen heranzuführen. In München hatte man versucht, das Gelände am Leben zu erhalten, und da waren Fußballspiele – unter anderem Länderspiele – tatsächlich ganz wichtig.
 
E+P: Nach Ihrem Olympiasieg in München gaben Sie Interviews für die ARD und auch für das DDR-Fernsehen. Der Auftritt einer westdeutschen Athletin im DDR-Fernsehen war damals eher ungewöhnlich. Wie haben Sie dieses Interview erlebt?  
 
Ulrike Nasse-Meyfarth: Ich kann mich hinsichtlich dieses Interviews nur noch daran erinnern, dass man mir die Lippen vorher sehr rot angemalt hatte. Ansonsten war es ein ganz normales, sachliches Interview. Man hat Deutsch gesprochen (lacht)
 
E+P: Wie haben Sie in den folgenden Spielen die Konkurrenz aus der DDR wahrgenommen?  
 
Ulrike Nasse-Meyfarth: Die DDR-Athletinnen waren für uns ganz normale Konkurrentinnen wie alle anderen auch. Sie traten immer in Kleingruppen auf, sodass es nicht einfach war, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Das wurde seitens der DDR-Funktionäre unterbunden.
 
E+P: Während Sie den Weltrekord im Hochsprung einstellten, versammelt sich, so schreiben es Roman Deininger und Uwe Ritzer in ihrem Buch „Die Spiele des Jahrhunderts“, der „Schwarze September“ schwer bewaffnet in einem Zimmer in der Pension „Augsburg“. Am Tag nach ihrem sagenhaften Erfolg sind die „heiteren Spiele“ vorbei. Wie haben Sie das schreckliche Attentat erlebt?
 

Ulrike Nasse-Meyfarth: Ich habe am nächsten Morgen in der Mensa beim Frühstück davon erfahren. Ich befand mich dann in einer Gefühlslage zwischen himmelhoch jauchzend wegen meines Olympiasiegs und zu Tode betrübt wegen der Geschehnisse in der Nacht. Wir hatten alle Angst, dass noch weitere schreckliche Dinge passieren könnten, haben uns auch gefragt, ob die Spiele weitergehen würden, und haben uns über die Fernsehsendungen informiert, wie alle anderen Personen auch. Mehr habe ich damals nicht mitbekommen.   
 
E+P: Wir blicken in diesem Jahr zum fünfzigsten Mal auf die Olympischen Spiele in München zurück. Welche Facetten sollten bei diesem Rückblick Ihrer Meinung nach – aus der Perspektive einer Athletin und Olympiasiegerin – beleuchtet werden bzw. worauf soll der Schwerpunkt liegen?  
 
Ulrike Nasse-Meyfarth: München bieten in diesem Jahr ja breit gefächerte Veranstaltungen an, wo man sich den unterschiedlichsten Themen widmet: Sport, Kunst, Kultur, Architektur und Design. Und monatlich gedenkt man der ermordeten Israelis und des getöteten deutschen Polizisten.
Es sind viele Facetten der Spiele, auf die man den Blick richtet, und das ist meines Erachtens auch stimmig. 
 
E+P: Für Sie begann nach dem Olympiasieg 1972 als 16-Jährige eine schwierige Phase, 1984 schloss sich sportlich gesehen mit dem zweiten Olympiasieg und dem Weltrekord für Sie persönlich der Kreis. Sie sind dem Sport bis heute verbunden geblieben. Welchen Wert hat Sport allgemein für unsere Gesellschaft?
 

Ulrike Nasse-Meyfarth: Einen sehr großen, den man aber so nicht immer wahrhaben will. Der Sport ist wichtig für Gesundheitsförderung und für die Demokratiestärkung, Stichwort Ehrenamt, und der Sportverein ist als Sozialisationsraum zentral. Man kann meines Erachtens nicht ausschließlich den Leistungssport fördern, ohne dem Breitensport größere Beachtung zu schenken. Das kommt zu kurz, da muss sich was ändern. In den Schulen sollte der Sport eine größere Lobby haben und die Sportstättensanierung muss vorangetrieben werden. Ich habe schon vor Jahren gesagt, man brauche einen Sportminister auf Bundesebene. Mittlerweile fordert der Deutsche Olympische Sportbund einen Staatssekretär für Sport, der im Bundeskanzleramt angesiedelt ist. Mal sehen, wann das umgesetzt wird.  
 
E+P: Welche Bedeutung hat der Sport für Sie persönlich über den Hochsprung hinaus?  
 
Ulrike Nasse-Meyfarth: Ich habe mein ganzes Leben lang Sport gemacht. Ich treibe regelmäßig Fitness-Sport im Verein und versuche, mich in Form zu halten. Ich finde den Sport für alle Menschen ganz wichtig. Wenn jemand Rückenschmerzen hat, sollte er sportliche Übungen machen und nicht sofort zum Arzt rennen und sich eine Spritze geben lassen. Das ist meine Einstellung.    

 
Interview: Markus Baar

 
 

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