Themenforum Oberwiesenfeld

Olympiapark in München mit Olympiasee und Olympiaturm

demokratisches grün

von Oliver Heiss

Bild: Olympiasee mit Blick auf das Theatron, die Olympiaschwimmhalle und den Olympiaturm 

Foto: Oliver Heiss

Unsere geplante und gebaute Umwelt ist das periodisch manifestierte Ergebnis gesellschaftlicher Umstände. Gleichzeitig determiniert sie eine soziale Praxis. Sie bildet Realität nicht nur ab, sie schafft auch soziale Realität. Geplante und gebaute Umgebung kann auf diese Weise auch visionär und richtungsweisend für gesellschaftliche Entwicklungen sein. Ikonographisch steht hierfür der Olympiapark München.
Aus dem kongenialen Zusammenspiel von Architektur, Ingenieurskunst, Landschaftsarchitektur und visuellem Erscheinungsbild ist in den 1970er Jahren ein Gesamtkunstwerk entstanden, dem es selbst nach 50 Jahren Betrieb noch immer gelingt, Stadt und Landschaft als „Gebrauchsgegenstand“ für eine aufgeklärte, moderne und demokratische Gesellschaft zur Verfügung zu stellen.
Wenn im Folgenden die Rede vom „Olympiapark“ ist, so ist damit nicht nur der südliche Bereich des Parks mit dem Olympiaberg, dem Olympiasee und den zentralen olympischen Sportstätten des Olympiastadions, der Olympiahalle und der Olympiaschwimmhalle gemeint, sondern auch der nördliche Bereich mit den Zentralen Hochschulsportanlagen und dem olympischen Dorf. Die folgenden Ausführungen unternehmen den Versuch, darzustellen, warum es sich beim Olympiapark um einen besonderen Ort einer demokratischen, aufgeklärten, diversen Gesellschaft handelt. Die Stadtbaurätin der Landeshauptstadt München nimmt diesen Gedanken wie folgt auf:
„Zeitlos beantwortet der Olympiapark, was Architektur und Gestaltung für die Gesellschaft leisten können, einen Ort der Begegnung, der Integration schafft, der Identifikation und Auseinandersetzung mit Geschichte, Gegenwart und Zukunft gleichermaßen ermöglicht.“[1]
 
Erscheinungsbild
Unter dem Motto „Olympische Spiele im Grünen, der kurzen Wege, der Musen und des Sports“ bewarb sich die Landeshauptstadt München auf Initiative des Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees, Willi Daume, im Dezember 1965 um die Austragung der XX. Olympischen Sommerspiele. Innerhalb von nur drei Monaten wurde die Bewerbung in allen politischen Gremien der Stadt, des Landes wie des Bundes abgesegnet und dann beim IOC eingereicht. Vier Monate später im April 1966 erhielt München den Zuschlag.
Das Nationale Olympische Komitee (NOK) gründete nur wenige Wochen nach der Vergabe, im Mai 1966, ein Organisationskomitee (OK), dessen erster Beschluss ein einheitliches, aber in seiner Vielfalt alle Besucherinnen und Besucher ansprechendes „visuelles Erscheinungsbild“ der Olympischen Spiele München mit all seinen Einrichtungen war. Das OK suchte hierfür die Zusammenarbeit mit der Hochschule für Gestaltung Ulm, insbesondere mit dem Leiter der Hochschule, Professor Otl Aicher.[2]
Im Dezember 1966 formulierte der Vorstand des OK folgende Leitlinien für das visuelle Erscheinungsbild:

  • „Die Spiele sollen in bezug auf ihren äußeren Zuschnitt nicht bombastisch werden, aber doch einen liebevoll-festlichen Rahmen von hohem künstlerischen Niveau haben. Das bedeutet, dass sie auch hinsichtlich der Information und Kommunikation vorbildlich organisiert sein müssen.
  • Es ist der Versuch zu machen, die zu erwartende Flut an Werbemitteln aufzufangen und zu kompensieren – möglicherweise mit der Vergabe von Lizenzen – und gegebenenfalls finanziell zu nutzen.
  • Die kulturelle Bedeutung der Olympischen Spiele von München wird durch ein nicht uniformes, aber harmonisches und künstlerisch bemerkenswertes Erscheinungsbild unterstrichen, bzw. besonders hervorgehoben.“[3]
Im „Handbuch A – Richtlinien und Normen für die visuelle Gestaltung“, herausgegeben vom OK etwa im Jahr 1969, findet sich im Vorwort folgendes Zitat zur Beschreibung der inhaltlichen Ausrichtung:
„So sollen die Spiele sein:
heiter
leicht
dynamisch
unpolitisch
unpathetisch
frei von Ideologie
eine spielerische Durchdringung von Sport und Kultur“[4]
 
1967 wurde Otl Aicher zum Gestaltungsbeauftragten der XX. Olympischen Sommerspiele ernannt. Seine Aufgabe bestand darin, in gerade einmal neun Monaten ein „detailliertes Gestaltungskonzept“[5] für eine einheitliche Formensprache für München 1972 zu entwerfen. Aicher kam zu dem Schluss, dass ein guter Teil der Anziehungskraft der Stadt München und des Voralpenlandes in ihrer weißblauen Tradition begründet liege, und erläuterte den von ihm gestalteten Farbkanon wie folgt: „Was mir vorschwebt, ist, ein psychologisches Klima zu schaffen, mit Hilfe von Zeichen, Farben, Schriftelementen – ein Klima, das etwa dem entspricht, was die Zeitgenossen sich heute unter München vorstellen. […] Ich habe mich da sehr leiten lassen von einer wissenschaftlichen Untersuchung über die Frage des Zuzugs nach München. Dabei hat sich herausgestellt, dass die Attraktivität der Stadt München nicht in den Frauentürmen liegt und nicht im Hofbräuhaus, sondern im inneren Wert, nennen wir es ruhig einmal ‚in einem psychologischen Klima‘, das natürlich stark bestimmt ist durch das Umland, durch die Landschaft, durch bestimmte spezifische Werte dieser Stadt. Hier kommt es darauf an, diese Werte in eine bildliche Sprache umzusetzen. Dabei können vollkommen neue Zeichen und Formen entstehen. Wichtig erscheint mir, dass sie eine innere, nicht eine äußerliche Beziehung zu München haben.“[6]
Im Ergebnis wurde von Aicher ein leitender Farbkanon vorgeschlagen, der den Einsatz der Farben Weiß, Blau, Silber und „Olympia-Grün 72“ vorsah. In der Folge wurden die Farben „Olympia-Orange 72“, „Olympia-Dunkelgrün 72“ und „Olympia-Hellorange 72“ ergänzt. Die Entwicklung der Farben erfolgte evolutionär. Erst im Laufe der Zeit wurde ein Farbkanon definiert, der später sogenannte „Regenbogen“, der auch zum Begriff der „Regenbogenspiele“ führte. Auch wenn sich im o.g. Handbuch kein expliziter Hinweis auf das Verbot der Farbe Rot findet, so ist angesichts des massiven und propagandistisch genutzten Einsatzes dieser Farbe durch das NS-Regime bei den Olympischen Spielen in Berlin 1936 davon auszugehen, dass Aicher die Nutzung der Farbe Rot bewusst vermieden hat.
Otl Aicher war 14 Jahre alt, als die Olympischen Spiele Nazideutschlands 1936 in Berlin stattfanden. Nachdem er sich geweigert hatte, der Hitlerjugend beizutreten, wurde er 1941 nicht zum Abitur zugelassen. Im selben Jahr wurde er zum Militärdienst eingezogen, wo er sich konsequent allen militärischen Aufstiegsmöglichkeiten verschloss. Aicher verband eine enge Freundschaft mit Inge Scholl, seiner späteren Frau, sowie ihren Geschwistern Sophie und Hans Scholl, den späteren Mitgliedern der Weißen Rose. Im Rückblick beschreibt Otl Aicher sein leitendes Prinzip selbst: „mein denken war andenken gegen hitler“.[7]

Konzept
Am 1. Februar 1967 schrieb die Landeshauptstadt München einen nationalen städtebaulichen Ideen- und Bauwettbewerb für die XX. Olympischen Spiele 1972 in München aus. Ziel des Verfahrens war es, „für die XX. Olympischen Spiele 1972 in München einen würdigen städtebaulichen und architektonischen Rahmen zu finden und für die spätere Nutzung der einzelnen Anlagen die funktionell und wirtschaftlich beste Lösung zu gewinnen.“ Die Teilnehmer des Wettbewerbs sollten den Leitgedanken der „Olympische Spiele im Grünen und der kurzen Wege“ umsetzen.[8]
Unter den Teilnehmenden befand sich auch das Architekturbüro von Günther Behnisch, Fritz Auer, Winfried Büxel, Erhard Tränkler und Carlo Weber. Sie interpretierten die Zielsetzungen des Wettbewerbs als eine bewusste Gegenposition zu den letzten Olympischen Spielen in Deutschland 1936, die zu einer propagandistischen Machtdemonstration des NS-Regimes genutzt worden waren. Zur Vermittlung und Unterstützung der Symbolik der Naziideologie wurde in Berlin die Sprache der Architektur bewusst eingesetzt. Der Architekt Werner March war mit der Planung des Olympiastadions beauftragt. Der Monumentalität und Axialität, formalen Analogien zum Kolosseum in Rom, sowie der bewussten Dominanz der herrschenden Architektur über die „natürliche“ Landschaft wollten die Stuttgarter Architekten einen sichtbar anderen Entwurf entgegenstellen. „Dem gegenüber wollten wir – und so interpretierten wir aus unserer Sicht das Motto der Spiele – mit unseren Mitteln beitragen zu einem Fest, in dessen zwanglos-heiterer Atmosphäre sich Menschen aus aller Welt treffen können, also menschliche Spiele für den spielenden Menschen zu ermöglichen“, so Fritz Auer.[9]
In gedanklicher Analogie zur Ausbildung der originären griechischen olympischen Spielstätten, bei denen es sich um reine Erdstadien, in der Landschaft eingebettete Erdmulden, handelte, wurde in der Konzeptfindung eine der entscheidenden Weichen der Entwicklung des Gesamtkunstwerks gestellt. Fritz Auer sagt hierzu: „Dieses Prinzip [der Erdstadien] schien uns geeignet zu sein, um dem Anspruch nach bescheidenen Spielen in einer Art „Nicht-Architektur“ zu begegnen, das heißt die Stadien in einen topografischen Zusammenhang einzubinden, um deren solitären Charakter und die damit verbundene Monumentalität zu vermeiden.“[10]
Die Platzierung der drei Hauptsportstätten in direkter Nachbarschaft zur dominanten, vorhandenen Vertikale des gerade entstehenden Fernsehturms südlich des Georg-Brauchle-Rings, das Eingraben der Sportstätten, das zu einer Reduzierung ihrer sichtbaren Höhe von bis zu zwei Dritteln führt und den Baukörpern trotz ihrer Größe die Monumentalität nimmt, die Modellierung der umgebenden Landschaft und deren fast selbstverständlich erscheinender Verlauf samt Integration des bestehenden Schuttberges sowie die echte Integration des Biederstein-Nymphenburg-Kanals durch seine Aufweitung an zentraler Stelle der Hauptsportstätten haben dazu beigetragen, entscheidende Qualitäten einer „Architekturlandschaft“ zu definieren. Mit „Architekturlandschaft“ ist eine Symbiose zwischen Architektur und Landschaft beschrieben, bei der – durch das selbstverständliche Miteinander – keine Dominanzen entstehen. Zentraler Bestandteil ist die zusammenhängende Dachlandschaft. Erst die Zeltdachkomposition verbindet Landschaft, See, öffentlichen Raum und die architektonischen Einbauten zu einer maßstabsgerechten Einheit. Das Olympiadorf sowie die Zentralen Hochschulsportanlagen wurden nördlich des Rings im Ideenteil des Wettbewerbs lediglich grundsätzlich städtebaulich disponiert. Über einzelne Brücken wurde der Versuch unternommen, die verbindende Landschaft, die gestaltete Topografie, die „Spiele im Grünen“ zu nutzen, um den südlich des Rings liegenden Teil mit dem nördlichen zu verbinden. Gleichzeitig war durch diese Disposition für die Nachnutzung bereits definiert, dass der südlich des Rings liegende Teil der eines langfristig öffentlich nutzbaren Besucherparks mit Sport- und Veranstaltungsflächen und der nördliche Teil der des Wohnquartiers und der Zentralen Hochschulsportanlagen sein könnte.
Die Frage der Überdachung bzw. Teilüberdachung der drei Hauptsportstätten wurde vergleichsweise lange mit dem Versuch beantwortet, die drei Einzelbaukörper jeweils mit leichten Schalendachkonstruktionen zu versehen. Erst als in der Bearbeitungszeit des Wettbewerbs erste Bilder des deutschen Pavillons auf der Weltausstellung in Montreal 1967, geplant von Rolf Gutbrod, Frei Otto, Fritz Leonhardt und Wolfhardt Andrä, öffentlich wurden, übernahm das Architektenteam um Günther Behnisch die Idee der Zeltdachkonstruktion in den Entwurf des Olympiastadions. Jürgen Joedicke begleitete das Architektenteam in Fragen der Architekturtheorie und des Tragwerks, Heinz Isler in Fragen der Konstruktion und Ulrich Hundshöfer im Bereich des Verkehrs.
Joedicke stellte das Prinzip der Einzelüberdachung der drei Hauptsportstätten infrage und riet dazu, alternativ eine zusammenhängende Zeltdachgroßform zu suchen. Diese Großform ermöglichte es, eine maßstäbliche Antwort auf die modellierte Landschaft zu finden, die selbstverständlich aus ihr heraus entsteht, rhythmisch zwischen Erhebung und Vertiefung schwingt und insgesamt Landschaft mit den Baukörpern, diese untereinander, die Freiflächen der Plateauebenen zwischen den Sportstätten sowie den Süd- und den Nordteil miteinander verbindet.
Heinz Isler hatte dann die Aufgabe, die im Wesentlichen am Arbeitsmodell ermittelte Großform der Zeltdachkonstruktion für die Darstellung im Wettbewerb nach den Prinzipien der leichten vorgespannten Flächentragwerke im Grundsatz nachvollziehbar zu konstruieren und plausibel darzustellen. Abgegeben wurden nicht allein die planerischen Darstellungen, sondern auch ein Modell.
Am Freitag, den 13. Oktober 1967, fand unter der Leitung von Egon Eiermann die Jurysitzung des Architektenwettbewerbs statt. In der Beurteilung der Jury zum Wettbewerbsbeitrag von Günther Behnisch, Fritz Auer, Winfried Büxel, Erhard Tränkler und Carlo Weber hieß es:
„Das Preisgericht sieht sich nicht in der Lage, sich über die Brauchbarkeit dieses Vorschlags definitiv zu äußern und muss leider mit der Fragwürdigkeit der vorgeschlagenen Überdachung diesem in allen Teilen hervorragenden Entwurf in Bezug auf die geforderte Haltbarkeit und Betriebssicherheit Einschränkungen auferlegen. […]
Die Darstellung des Entwurfs überrascht durch die Aufgeschlossenheit und Lebendigkeit, wenn auch über die eigentliche Gestaltung des olympischen Dorfes keine Aussage gemacht wurde.“[11]
In den Folgemonaten herrschte, neben großer Freude über den Wettbewerbsgewinn, hektische Betriebsamkeit im Büro Behnisch. Eine Vielzahl von Alternativen wurde untersucht, rand- und punktgestützte Konstruktionen sowie geschlossene Schalen- und Zeltdachkonstruktionen. Im Januar 1968 wandte Behnisch sich an Frei Otto, den Architekten und Konstrukteur des Zeltdaches des deutschen Pavillons im Rahmen der Weltausstellung in Montreal, vorläufig lediglich mit der Bitte, zum ausgezeichneten Entwurf Stellung zu nehmen. Frei Otto antwortete nur vier Tage später mit der grundsätzlichen Feststellung, dass das Dach baubar sei und dass er bereit wäre, sofern die Entwurfsverfasser dies wünschten, an dessen weiterer Entwicklung mitzuwirken. Von dieser Möglichkeit machte das Büro Behnisch Gebrauch. Die Frage des Daches war aber noch immer nicht abschließend geklärt. Die Bauherrschaft nahm sich das Recht, für eventuell umzusetzende Alternativen der Dachkonstruktion den 3. Preisträger, das Büro von Erwin Heinle und Robert Wischer, einzubinden. Erst Ende Juni 1968 entschied sich der Bauherr für die Ausführung der punktgestützten Hängedachkonstruktion. Der Beschluss bezüglich einer transparenten Acrylglaseindeckung fiel dann im Juli 1970. Ursache dafür waren die Erfahrungen des Farbfernsehens bei den Olympischen Spielen in Mexico City. Die geplante Lösung mit 4mm starken, 9m2 großen vorgespannten transparenten Acrylglasplatten auf einer Netzkonstruktion mit einer Maschenweite von 75/75cm versprach in allen Maßstäben Vorteile.
Die Symbiose der Architekturlandschaft, zwischen Natur und Dach, konnte ganz selbstverständlich ineinandergefügt werden. Für die Athletinnen und Athleten im Stadion waren die Unterschiede der Lichtverhältnisse im Schatten des transparenten Daches und den nicht überdachten Bereichen deutlich geringer als bei geschlossenen, nicht transparenten Dachkonstruktionen. Den entscheidenden Ausschlag aber gaben die Fernsehanstalten. Bei den Olympischen Spielen 1968 hatten die Kameraleute des gerade aufkommenden Farbfernsehens die Erfahrung gemacht, dass bei der Bewegung von Sportlerinnen und Sportlern aus verschatteten in belichtete Stadionbereiche jeweils die Blende manuell angepasst werden musste. Je stärker die Kontrastsituation war, um so verzögerter fand die manuelle Anpassung statt. Damit reduzierte sich die Qualität der übertragenen Bilder. Um derartige Situationen zu minimieren, war eine möglichst geringe Kontrastsituation der überdachten und nicht überdachten Bereiche ideal. Mit einer nahezu transparenten Überdachung gestaltete sich der Kontrastunterschied minimal. Vor diesem Hintergrund entschied sich die Bauherrschaft für eine Ausführung mit transparenter Acrylglasdeckung.
So dankbar wir aus heutiger Sicht für das gebaute Ergebnis sein dürfen, so erstaunlich erscheint der damalige Abwägungsprozess. Zweifel an der Konstruktion bestanden sowohl aus ökonomischer als auch aus ingenieurtechnischer Sicht. Eine valide Berechnungs- und Nachweismethode existierte für derartige Konstruktionen nicht. Gleichwohl wurde das Dach mit einer Höhe von bis zu 81m, Spannweiten von bis zu 450m und einem Tragwerk aus zwölf Hauptpylonen, 36 kleineren Masten und zehn frei hängenden, unterspannten „Luftstützen“ errichtet. Katharina Matzig gratulierte dem Olympiapark am 9. Mai 2022 mit einem Artikel zum 50-jährigen Bestehen, den sie mit den Begriffen „Mut, Glaube und Irrsinn" [12] betitelte. Dem kann man sich nur anschließen. Ergänzen ließen sich allerdings noch zwei weitere essenzielle Begriffe: Vertrauen und Verantwortung – Vertrauen aller Beteiligten zueinander und Verantwortung sowohl für den eigenen Arbeitsbereich als auch für die thematisch leitenden Ideen.
Bemerkenswert ist auch das Planungsexperiment für das olympische Dorf. Ausgeführt wurden die Planungen dafür für rund 8.000 Einwohner im Norden des Parks durch die 3. Preisträger des Architektenwettbewerbs, Erwin Heinle und Robert Wischer, für das olympische Dorf der Männer, sowie Werner Wirsing und Günther Eckert für das olympische Dorf der Frauen, die bereits vor der Bewerbung um die Olympischen Spiele einen Auftrag des Münchner Studentenwerks für die Neuplanung von Studentenwohnungen auf dem Gelände erhalten hatten.
Heinle und Wischer erarbeiteten ihr Konzept mit einer speziell entwickelten Planungsmethode. Ziel der schleifenartigen Abwägungs- und Verbesserungsprozesse war es, den Planungsvorgang zu versachlichen und zu systematisieren. Gleichzeitig wurde versucht, diesen als komplexen, transparenten, gemeinschaftlichen und interdisziplinären Vorgang zu begreifen. „Ihre eigene Rolle als Architekten sahen sie dabei nicht mehr als Generalisten des gesamten Prozesses, sondern als Experten in einem großen, von Disziplinenvielfalt geprägten Planungsteam.“[13]
Unter der Maxime eines individuellen Wohnens im Kollektiv wurden in dem Gesamtprojekt Typologien vom 14-geschossigen Terrassenwohnhaus bis hin zu eingeschossigen Atrienhäusern in mehr als 70 unterschiedlichen Wohnungsgrundrissen realisiert. Während an anderen Stellen in der Stadt München durch die Fertigstellung der Ringstrukturen der autogerechten Stadt Raum gegeben wurde, wurde im Olympiadorf die gegenteilige Utopie Realität. Die öffentlich zugänglichen Bereiche im Erdgeschoss sind komplett vom Autoverkehr freigehalten. Unterhalb der Erdgeschossebene befinden sich Verteilergeschosse für den Auto- und Lieferverkehr sowie entsprechende Parkmöglichkeiten.
Städtebaulich wurde der öffentliche Raum – Rasen, Plätze, Wege und Straßen – zum strukturgebenden Element und somit zum fördernden Element des Kollektivs. Sichtbar wird dies heute insbesondere durch die Mischung der Bewohnerschaft, der Vielzahl und Unterschiedlichkeit der gemeinschaftlichen Organisationsformen und Verantwortungsstrukturen, die sowohl das Individuum als auch die soziale Gemeinschaft, vor allem aber partizipative Teilhabemöglichkeiten formen. Ein gutes Beispiel dafür sind die Studentenwohnungen des ehemaligen Frauendorfes. Die Außenwände standen den nutzenden Studierenden von Beginn an – und auch nach der Sanierung – zur eigenen Gestaltung zur Verfügung und geben damit dem Dorf zusätzlich einen ganz eigenen Charakter.
 
Landschaft
Im Anschluss an den Wettbewerb gelang es dem Team um Günther Behnisch, für die weitere Planung des Parks Günther Grzimek zu gewinnen, der sich zu der dem Park zugrundeliegenden Philosophie wie folgt äußert: „In Grundriss und Aufriss ist die Olympialandschaft bewegt, leicht, beschwingt. Es gibt große Formen, die aber immer wieder in kleindimensionierte Teilbereiche gegliedert sind. Das gesamte Olympiagelände soll, sowie es nicht dem Sport vorbehalten ist, zu einer Spiel- und Freizeitlandschaft werden. Der Berg mit seinem rhythmischen Spiel von Mulden, Kuppen und Hängen reich modelliert, und der lang gestreckte See mit seinen frei komponierten Uferlinien waren für die Grundhaltung im gesamten öffentlichen Park maßgebend. Sie ist organisch naturhaft. Die olympische Architektur im Kernbereich nimmt diese Grundhaltung auf. In der Architektur des Olympischen Dorfes und der Hochschulsportanlagen dagegen herrschen strenge geometrische Verhältnisse. Deswegen wurden in diesem Bereich die Erdformen, Wege und Plätze ebenfalls auf geometrische Grundformen zurückgeführt.“[14]
Die Interpretation der Leitgedanken der Olympischen Spiele München 1972, die Wirkung des von Otl Aicher entwickelten Erscheinungsbildes sowie seine eigene Überzeugung, Landschaft als „verstellbares Artefakt“ zu betrachten, führten Grzimek dazu, im Olympiapark eine idealisierte bayerische Landschaft zu inszenieren. Somit können die archaischen Formen grüner Moränenhügel, der Gebirgssee mit flachen Uferzonen, Silberweiden in Auenlandschaften und Feuchtgebiete mit Sümpfen an ihren Ufern als exemplarische Elemente gedeutet werden – und dies auf der historisch geformten Struktur des Schuttbergs des Zweiten Weltkriegs.
Grzimek war aber nicht an einer repräsentativ oberflächlichen Gestaltung interessiert, der es im besten Fall gelingt, Assoziationen zu wecken. Er sah die Entwicklung des Olympiaparks in einer logischen historischen Linie, ausgehend vom repräsentativen Schlosspark über den Volksgarten und Volkspark hin zu einem „Benutzerpark“. Er gestaltete einen Landschaftspark als „guten Gebrauchsgegenstand“, nicht als Kulisse und nicht zu Repräsentationszwecken.
Inspiriert von Otl Aicher, der ein guter Freund Grzimeks war, verwahrte sich Grzimek gegen eine pure Symbolik. Grzimek war es, der vom Olympiapark als „demokratisches Grün“[15] sprach, das zur „Besitzergreifung des Rasens“[16] auffordern sollte. „Ich halte es für wichtig, sich deutlich zu machen, was genau sich an planerischen Vorstellungen hinter dem heiteren Begriff einer demokratischen Planung verbirgt.“[17]
Umgesetzt wurde diese Idee durch eine offene, jederzeit zugängliche Parklandschaft von insgesamt 1,2 Mio. m2, von denen lediglich 4,7% eingezäunt sind.[18] Der Zugang zu diesen Flächen ist nirgends eingeschränkt, geschweige denn verboten. Im Gegenteil, der Rasen verfügt über eine Vielzahl nahezu selbstverständlicher Aufforderungselemente, ihn nicht nur zu betreten, sondern die Flächen auch zu nutzen. Wälle und Dämme laden zu den diversesten Aktivitäten ein, Sitzmöglichkeiten sind so gestaltet, dass sich deren Nutzerinnen und Nutzer einander zuwenden können, die Blumen auf den Wiesen dürfen ausdrücklich gepflückt werden, informelle Wegeverbindungen, die sich durch die Besitzergreifung ergeben, sind ausdrücklich erwünscht, befestigte Elemente wie das Freilufttheater des Theatron oder die Seeuferbefestigung, die während der Olympiade zur partizipativen kulturellen Gestaltung einluden, waren für die Nutzung nach der Olympiade vorgesehen.
Damit wurde nicht nur den Bewohnerinnen und Bewohnern der Landeshauptstadt neben den Isarauen, dem Nymphenburger Schlosspark und dem Englischen Garten eine weitere grüne Lunge geschenkt. Die inhaltliche Offenheit soll jede Nutzerin und jeden Nutzer ansprechen, national wie international. Beispielhaft dafür stehen die Spenden von rund 100 landestypische Bäumen aus 27 Nationen – von der Birke aus der sibirischen Taiga bis zur Ölweide aus Abu Dhabi.[19]
Wie bedeutsam derartige Grünzonen für urban verdichtete Flächen sind, ist schon 1972 nicht zuletzt durch die Publikation des Club of Rome „Die Grenzen des Wachstums“ durchaus bekannt gewesen. Auch aus heutiger Perspektive kann der Wert einer derartigen Parkanlage angesichts des Klimawandels nicht hoch genug bemessen werden. Stark durchgrünte Freiflächen reduzieren die enormen Erhitzungen der urbanen Räume. Sie besitzen eine hohe Filterfähigkeit bei Starkregenereignissen und ihre Biotopmöglichkeiten unterstützen die Artenvielfalt. Die Pflanzen produzieren Sauerstoff, wirken als Staubfilter und sorgen für Verdunstungskälte. Öffentlich zugängliche Parks und Freiflächen beantworten zumindest teilweise die Frage der Zugänglichkeit zur Ressource Boden bzw. von Frei- und Erholungsflächen, deren Relevanz nicht zuletzt durch die Erfahrungen der Pandemie in der öffentlichen Wahrnehmung zugenommen hat. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen. Kombiniert werden muss sie allerdings mit Grzimeks Anregungen des „demokratischen Grüns“, einer „Ästhetik des Selbstverständlichen“ in der Kombination mit dessen „Besitzergreifung“. Wenn Demokratie nicht allein eine Gleichheit und Freiheit aller Bürgerinnen und Bürger voraussetzt, sondern auch das Bewusstsein, die Verantwortung und das Engagement eines jeden einzelnen Mitglieds, erst dann werden eine gemeinsame Willensbildung, ein toleranter und verantwortungsvoller Umgang miteinander, ein voneinander Lernen möglich.
Günther Grzimek war Zeit seines Lebens am spielerischen Lernen interessiert. Insbesondere das uneingeschränkte Spiel der Kinder fand sein großes Interesse. Er zog daraus Rückschlüsse auf menschliches Lern- und Sozialverhalten und schlug für den Olympiapark vor, dauerhaft eine für die Animation zur Aneignung zuständige Intendanz im Park einzurichten: „Eine volle Entwicklung der potentiellen Möglichkeiten des Oberwiesenfelds wird allerdings nur dann erreicht werden, wenn […] auch für die öffentlichen Anlagen ein differenziertes Veranstaltungsprogramm entwickelt wird. Wir behaupten, dass Parks konventioneller Art in der Stadt Raumverschwendung darstellen, insofern, als sie nur unzulänglich genutzt werden. Das liegt […] daran, dass öffentliche Grünanlagen gebaut und anschließend lediglich unterhalten werden. Dort fehlt fast vollständig der Initiator für kommunikationsfördernde Unterhaltung, Spiel und Veranstaltung.“[20]

Weltkulturerbe
„Nimmt es uns die Welt ab, wenn wir darauf hinweisen, dass das Deutschland von heute anders ist als das Deutschland von damals? Vertrauen gewinnt man nicht durch Worte, sondern durch sichtbare Bezeugungen und gewonnene Sympathie. Es kommt weniger darauf an, zu erklären, dass es ein anderes Deutschland gibt, als es zu zeigen.“[21]
Mit diesen Worten beschrieb Otl Aicher 1972 einerseits eine historische Verantwortung, andererseits appellierte er grundsätzlich an die Verantwortung aller Bürgerinnen und Bürger. Eine Verantwortung, die vom „Denken“ zum „Machen“ wird. Anspruch und Erwartungshaltung, Engagement und Verantwortungsbereitschaft waren enorm. Bis zu den dramatischen Terrorereignissen des 5. September gelang es 1972, friedvolle, heitere Spiele durchzuführen. Wie fragil das Konstrukt einer Demokratie ist, wurde schmerzlich durch die terroristischen Ereignisse deutlich. Der Schriftsteller Gert Heidenreich fasst Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf einer Veranstaltung der Aktion Welterbe Olympiapark 2016 im Volkstheater folgendermaßen zusammen: „Hier ist auf den Resten des Krieges ein Bild des Friedens erdacht, gezeichnet und gebaut worden, hier hat man auf dem Schutt nationalistischen Wahns die Arme geöffnet für Internationalität; hier wurde auf den Trümmern des Alten die Jugend gerufen; hier hat die hässliche Hauptstadt der Bewegung sich besonnen und gezeigt, wie liebenswert sie sein kann. Hier hat man nicht Gras über die Vergangenheit wachsen lassen, sondern mit Klugheit und Leichtigkeit und Lebensfreude einen radikalen Gegenentwurf zu den monströsen kalten Steinwelten eines Albert Speer ins Werk gesetzt, hier wurde also im Bewusstsein einer verbrecherischen Vergangenheit ein Garten geschaffen, der eine friedliche Zukunft repräsentieren sollte.“[22]
Seit 1998 stehen der Olympiapark als Ensemble sowie das Olympiastadion, die Olympiahalle, die Olympiaschwimmhalle, der Fernsehturm und seit 2011 das Ökumenische Kirchenzentrum als Einzelbaudenkmäler unter Denkmalschutz. Warum ist zusätzlich das Bemühen um den Titel „Weltkulturerbe“ angemessen? Warum engagieren sich Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft unter der Schirmherrschaft Hans-Jochen Vogels dafür, dass der Olympiapark zum Weltkulturerbe ernannt wird?
Zum Weltkulturerbe zählen unschätzbare und unersetzliche Denkmäler, Ensembles und Stätten, die wegen ihres außergewöhnlichen universellen Werts nicht einer Nation oder einem Volk allein, sondern der gesamten Menschheit „gehören“ sollen. Den Befürwortern des Erwerbs des Weltkulturerbetitels erscheint der außergewöhnliche universelle Wert zweifelsfrei nachgewiesen.
So waren es universelle Fragen, die den Olympiapark München geformt haben: Frieden, Internationalität, Gemeinschaft, Ökologie, Soziales, Kultur sowie die Fragilität eines demokratischen Staatenwesens. Übersetzt wurden diese Fragen in Architektur, Landschaftsarchitektur, Bauingenieurwesen, Kultur, Freizeit und Tourismus.
Dabei wurde – wie Gert Heidenreich zum Ausdruck bringt – besonders auf den sensiblen Umgang mit der
problematischen deutschen Geschichte geachtet. Auf dem im 19. Jahrhundert militärisch als Kasernengelände, Übungsplatz und Exerziergelände genutzten Oberwiesenfeld befand sich ab dem beginnenden 20. Jahrhundert ein Verkehrsflughafen, der unter dem NS-Regime der Luftwaffe zur Verfügung stand. Nachdem bei Kriegsende 1945 rund 80 Prozent der Münchner Innenstadt zerstört waren, wurde u.a. die Fläche des Oberwiesenfelds als Kriegsschuttdepot genutzt. Sichtbares Relikt dessen ist bis heute der ca. 50m hohe Schuttberg. Diese Historie wurde als Planungsgrundlage genutzt. Die Landschaft wurde modelliert und topographisch überformt. Die Sportstätten wurden wie Mulden in diese artifizielle Landschaft eingebettet. Nicht allein die unmittelbaren Funktionen, sondern vor allem ihre Nachfolgenutzungen, die konzeptionell eine immerwährende Entwicklung und eine Intendanz rechtfertigen, machen deutlich, dass es sich beim Olympiapark um ein Gesamtkunstwerk handelt. Beeindruckend ist noch heute, dass es vor 50 Jahren gelang, durch den Willen aller Beteiligten auf allen Verantwortungsebenen ein derartig stimmiges
Gesamtkunstwerk kongenial zu schaffen. Es scheint keiner einzigen der olympischen Stätten der Neuzeit
gelungen zu sein, die Nachnutzung so implizit verwirklicht zu haben, wie dies im Olympiapark geschehen ist – hier ist das Olympiagelände zweifellos außergewöhnlich.
Günter Grzimek sagte, „Pflege kann hier im Olympiapark nicht wie in traditionellen Parkanlagen üblich konservieren heißen. Dieses bequeme Verfahren entzieht ja unsere Parks dem intensiven Gebrauch, macht das Grün asozial und museal und als Medium sozialer Kommunikation untauglich.“[23] Der Park ist somit viel mehr als ein zu konservierendes und zu unterhaltendes Symbol. Es ist das permanent aktuelle Abbild der Entwicklung unserer Gesellschaft. Ein Abbild der gemeinschaftlichen Gestaltung unserer Gesellschaft und Umwelt. Otl Aicher formulierte hierzu in seiner Publikation „Die Welt als Entwurf“:
„man ist geneigt, freiheit und individualität als einen status, als einen zustand zu verstehen. manglaubt, ein mensch sei frei, wenn er unter konditionen der freien entscheidung lebt. aber frei wird er nur, wenn er freiheit realisiert, herstellt. in der freiesten gesellschaft kann es knechte geben, dann wenn menschen freiheit als habitus verstehen, nicht als konkretisierung, als entfaltung, als entwurf.“[24]
Sicherlich würden mit dem Titel des Weltkulturerbes einerseits formale Verpflichtungen, vor allem aber inhaltliche Bekenntnisse erforderlich, die aber gleichzeitig eine enorme Gestaltungsmöglichkeit beinhalten. Eine Stadt, in der Hochschulen mit Studiengängen der Architektur, der Landschaftsarchitektur des Bauingenieurwesens sowie der Politik, eine Akademie der Künste, eine Musikhochschule, eine Hochschule für Film und Fernsehen, Schauspielschulen, mehr als 230 Schulen, ein diverses und reiches Kunst- und Kulturleben ebenso wie ein engagiertes zivilgesellschaftlich organisiertes Ehrenamt beheimatet sind, könnte, durch eine entsprechende Intendanz begleitet, den Park mit seinen Möglichkeiten in eine Zukunft überführen, die dem Anspruch einer umfassenden, kontinuierlichen Gestaltung gerecht wird. Eine derartige kuratierte Nutzung geht über die aktuelle Form der Bespielung des Parks weit hinaus. Eine permanente Fortsetzung der von Werner Ruhnau entwickelten Spielstraße in Kombination mit kurierten Kunstinterventionen im Park und gesellschaftlicher Aneignung der Parkflächen würde in Kombination mit der institutionellen Nutzung die ursprünglichen Gestaltungsvorstellungen fortführen.
Der Designtheoretiker Friedrich von Borries hat Otl Aichers Gedanken weiterentwickelt und daraus folgenden Gestaltungsauftrag abgeleitet:
„Entwerfen ist das Gegenteil von Unterwerfen.
Entwerfen. Unterwerfen. Alles, was gestaltet ist, unterwirft uns unter seine Bedingungen. Gleichzeitig befreit uns das Gestaltete aus dem Zustand der Unterwerfung, der Unterworfenheit. Design schafft Freiheit, Design ermöglicht Handlungen, die zuvor nicht möglich oder nicht denkbar waren. Indem es dies tut, begrenzt es aber auch den Möglichkeitsraum, weil es neue Bedingungen schafft. Alles, was gestaltet ist, entwirft und unterwirft. Design ist von dieser sich bedingenden und ausschließenden Gegensätzlichkeit grundlegend geprägt. Diese dem Design inhärente Dichotomie ist nicht nur eine gestalterische, sondern eine politische. Sie bedingt Freiheit und Unfreiheit, Macht und Ohnmacht, Unterdrückung und Widerstand. Sie ist das politische Wesen von Design.“[25]
Und weiter:
„Im Anthropozän ist die Welt gleichzeitig Gegenstand und Ergebnis von Design. Dass Design sich auf die ganze Welt bezieht, ist nun eine Unausweichlichkeit. Die natürliche Lebenswelt ist nicht mehr alleinige Bedingung des Menschseins, sondern der Mensch ist auch eine Bedingung der natürlichen Lebenswelt. Diese Umkehrung erfordert ein neues Verständnis von Politik und Design.“[26]
Damit wären Auftrag und Möglichkeiten einer künftigen selbstverständlichen Gestaltung, Besitzergreifung und Nutzung des möglichen Weltkulturerbes Olympiapark München im besten Sinne formuliert.

 
 
[1] Elisabeth Merk, in: Fritz Auer: Ein Zeltdach für München und die Welt, München 2022, S. 6.
[2] Vgl. Kilian Stauss: Die Abteilung XI des Organisationskomitees und das visuelle Erscheinungsbild der Olympischen Spiele 1972, in: Winfried Nerdinger/Wilhelm Vossenkuhl (Hg.): Otl Aicher. Designer. Typograf. Denker, München 2022, S. 147.
[3] Organisationskomitee für die Olympischen Spiele der XX. Olympiade München 1972 e.V. (Hg.): Die olympische Organisation, in: Die Spiele. Der offizielle Bericht, Bd.1, Kapitel: das visuelle Erscheinungsbild, München 1974, S. 268.
[4] Zit nach: Kilian Stauss/Josef A. Grillmeier: Maßstab Design. Spiele München 1972, in: Stefanie Hennecke/Regine Keller/Juliane Schneegans (Hg.): Demokratisches Grün – Olympiapark München, Berlin 2013, S. 55. „Das Erscheinungsjahr ist umstritten. Ein Vorwort ist mit 1969 gekennzeichnet. Allerdings gibt es Zeitzeugen, die behaupten, das Handbuch A wurde erst kurz vor den Spielen herausgegeben und das Vorwort vordatiert.“
[5] Stauss (wie Anm. 2), S. 147.
[6] Interview mit dem Architekten Werner Wirsing und dem Designer Otl Aicher, in: zeitgemäße form (zf), Sonderbeilage der Süddeutschen Zeitung v. 07.11.1969. 
[7] HfG Archiv, Ulm, Ai AZ. 3304.
[8] Landeshauptstadt München: Auslobungstext des Architektenwettbewerbs für die XX. Olympischen Spiele 1972, Kapitel B Aufgabe und besondere Angaben, 1 Wettbewerbsaufgabe, München 1967, zit. nach: Auer (wie Anm. 1), S. 18.
[9] Auer (wie Anm. 1), S. 22.
[10] Ebd.
[11] Preisgerichtsprotokoll, Architektenwettbewerb für die XX. Olympischen Spiele 1972, Jurybeurteilung Tarnnummer 4350, München 1967.
[12] Katharina Matzig: Mut, Glaube und Irrsinn: Das Olympiastadion München ist heute ein Wahrzeichen der Stadt und noch immer eine baukünstlerische Meisterleistung, in: Neue Zürcher Zeitung v. 09.05.2022.
[13] Natalie Heger: Planungsexperiment Olympisches Dorf. Die Genese eines Konzepts, in:  Hennecke/Keller/Schneegans (wie Anm. 4), S. 74.
[14] Günther Grzimek/Gerda Gollwitzer: Demokratisches Grün, Bayerische Akademie der Schönen Künste/Landeshauptstadt München, München 1973.
[15] Ebd.
[16] Günther Grzimek/Rainer Stephan: Die Besitzergreifung des Rasens. Folgerungen aus dem Modell Süd-Isar, München 1983.
[17] Grzimek/Gollwitzer (wie Anm. 14).
[18] Vgl. Karl Stankiewitz: München 1972. Wie Olympia die Stadt veränderte, München 2021, S. 144.
[19] Vgl. ebd.
[20] Günther Grzimek/Rainer Stephan: Die Besitzergreifung des Rasens. Folgerungen aus dem Modell Süd-Isar, München, 1983, S. 33.
[21] Otl Aicher: Das Erscheinungsbild der Olympischen Spiele 1972, in: Kay Schiller/Christopher Young: München 1972. Olympische Spiele im Zeichen des modernen Deutschland, Göttingen, 2012, S. 155.
[22] Gert Heidenreich bei der Veranstaltung Aktion Welterbe Olympiapark 2016 im Volkstheater.
[23] Günther Grzimek: Spiel und Sport im Olympiapark München, in: Gerda Gollwitzer: Spiel und Sport in der Stadtlandschaft, München 1972.
[24] Otl Aicher: Die Welt als Entwurf, Berlin 1991, S. 195.
[25] Friedrich von Borries: Weltentwerfen. Eine politische Designtheorie, Berlin 2016, S. 9.
[26] Ebd., S. 119.
 

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