Themenforum Jüdisches Leben in Deutschland

Ein Interview mit dem Historiker Michael Brenner

Ein Interview mit dem Historiker Michael Brenner

Bild: Michael Brenner Foto: Süddeutsche Zeitung Photo/Fotograf: Stephan Rumpf

„Wir müssen uns sehr davor hüten, die jüdische Geschichte auf eine Verfolgungsgeschichte zu reduzieren“

Michael Brenner, geboren 1964, wuchs in Weiden in der Oberpfalz als Sohn von zwei Holocaust-Überlebenden auf. Seine Mutter Henny stammte aus einer großbürgerlichen Familie aus Dresden, wo es Mitte Februar 1945 aufgrund der Bombardierung der Stadt nicht zu ihrer bereits geplanten Deportation kam, sein Vater wurde in der polnischen Kleinstadt Chrzanów geboren und kam nach seiner Befreiung aus einem Außenlager des Konzentrationslagers Groß-Rosen im Sommer 1945 nach Bayern. Michael Brenner ist Inhaber des Lehrstuhls für Jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie Direktor des Center of Israel Studies an der American University in Washington, DC. Seit 2013 bekleidet er außerdem das Ehrenamt des Internationalen Präsidenten des Leo-Baeck-Instituts. Zuletzt erschien von ihm das Buch „Der lange Schatten der Revolution. Juden und Antisemiten in Hitlers München 1918–1923“.

EuP: Für das vorliegende Nachfolgeheft zum Themenheft „Antisemitismus“ war es der Plan der Redaktion, bewusst nicht explizit auf Judenfeindschaft einzugehen, sondern auf das „ganz normale“ jüdische Leben in Deutschland. Das ist nun nach den immer wiederkehrenden, sich scheinbar verschärfenden antisemitischen Vorfällen im Frühjahr 2021 nicht gelungen – Mirna Funk betont in ihrem Essay zum Beispiel, wie stark jüdisches Leben und Antisemitismus verknüpft sind.

Gehört Antisemitismus unablösbar zum Leben von Jüdinnen und Juden in Deutschland?

Michael Brenner: Ich würde sagen, diejenigen Jüdinnen und Juden, die in Deutschland aufgewachsen sind, kennen wahrscheinlich kein jüdisches Leben ohne Antisemitismus. Aber gleichzeitig hat das auch nicht unbedingt den Alltag unseres Lebens bestimmt. Man muss leider feststellen, dass der Antisemitismus in den letzten Jahren zugenommen hat. Davor hat man natürlich gemerkt, dass es Antisemitismus in Deutschland gibt, aber erst in den letzten Jahren hat er das Alltagsleben der Jüdinnen und Juden stärker geprägt. Ob der Antisemitismus unablösbar zu Deutschland gehört, weiß ich nicht, aber er gehört leider zur – ich will mal sagen – Un-Kulturgeschichte Europas in den letzten 1.000 Jahren oder länger. Die Vorstellung, dass er irgendwann einfach verschwinden würde, halte ich für etwas illusorisch. Was wir versuchen können, ist, ihn einzudämmen. Albert Einstein hat einmal gesagt, es sei leichter, ein Atom zu spalten, als ein Vorurteil loszuwerden. Ich fürchte, dass er damit schon recht hatte.

EuP: Worin liegt für Jüdinnen und Juden – die agnostisch oder atheistisch eingestellt sind – eigentlich die Essenz jüdischer Identität – in Familiengeschichten, Traditionen, Kultur?

Michael Brenner: Das ist eine sehr gute Frage, die in wenigen Sätzen schwierig zu beantworten ist. Ich halte gerade eine Vorlesung zu dem Thema, was das Judentum eigentlich ausmacht. Ich glaube, wir müssen uns ein bisschen von der vor allem in Westeuropa gängigen Vorstellung trennen, dass man alle Kulturen schön einordnen kann, nach dem Motto: „Das ist eine Religion, das ist eine Nation, das ist eine Kulturgemeinschaft“ und so weiter. Im Judentum spielt das alles von Anfang an eine Rolle. Wenn man sich fragt, was die Bibel eigentlich für die Juden bedeutet, dann ist sie für religiöse Juden das Buch, das ihre religiösen Vorschriften enthält, und für säkulare Juden ist es das Buch, in dem die Anfänge der jüdischen Geschichte dargestellt sind – also ein Geschichtsbuch. Und wenn man fragt, wie man traditionell Judentum definiert hat, dann ist zunächst ein biologisches Element wichtig, nämlich die Abstammung von einer jüdischen Mutter. Dann kann man aber auch zum Judentum konvertieren, was ein rein religiöses Kriterium darstellt. Man wird so aber Teil nicht nur der jüdischen Religion, sondern auch der gesamten jüdischen Gemeinschaft und des jüdischen Volkes. Ich zitiere gerne das Beispiel einer Frau, die – wie so viele – 1995 von Moskau nach München emigrierte. Sie hatte in ihrem sowjetischen bzw. später russischen Pass die sogenannte fünfte Kategorie stehen, als Nationalität war bei ihr ‚jüdisch‘ eingetragen. In Osteuropa inklusive der Sowjetunion wurde das Judentum als eine Nationalität definiert, die es neben vielen anderen in der UdSSR gab, wie Russen, Georgier usw. Diese Frau kommt nun nach Deutschland aufs Einwohnermeldeamt und stellt fest: Da gibt es keine jüdische Nationalität mehr, sondern das Judentum nur als religiöse Kategorie. Aber hat sie damit ihre Identität verändert? Wahrscheinlich nicht. Wenn sie nun weiter nach Israel auswandern möchte, erhält sie dort eine israelische Staatsbürgerschaft, aber zugleich die „jüdische Nationalität“. Es bestehen also in diesem Sinne sehr viele Definitionen. Und dann gibt es noch die Definition einer Art „Schicksalsgemeinschaft“, in der man sich mit den vielen Generationen vor einem identifiziert, die jüdisch waren im religiösen Sinn, vielleicht auch als Juden verfolgt worden sind. Sigmund Freud hat sich einmal als „gottlosen Juden“ bezeichnet. Das ist eben kein Widerspruch; man bleibt Jude, auch wenn man nicht an Gott glaubt und nie im Leben in die Synagoge geht. Freud selbst sagte einmal, was ihn zum Juden mache, seien viele dunkle Gefühlsmächte, umso gewaltiger, je weniger sie sich in Worten erfassen ließen. Also ein klares Bewusstsein der inneren Identität; und er nannte es auch die „Heimlichkeit der gleichen seelischen Konstruktion“. Das ist jetzt natürlich eine typisch freudianische Formulierung. Also: Man kann auf sehr viele Arten und Weisen definieren, was jüdische Identität ist. Während es in Deutschland mehr um den Begriff der Religionsgemeinschaft geht, meint Judentum in Israel mehr die Nationalität. Und in Amerika sagen die meisten – dazu gibt es Umfragen –, dass der Begriff der Kultur auch sehr prägend ist. Da geht es dann neben Überresten von nationalen Hintergründen auch um Alltagskultur wie Esskultur ­– Bagel und Lachs zum Beispiel.

EuP: Es fiel in der Vorbereitung unseres Themenhefts in einigen Gesprächen auf, dass Jüdinnen und Juden in der Generation 30+ oftmals so argumentieren, dass sie ihre jüdische Identität ein bisschen wie einen Bausatz mit vielen unterschiedlichen Elementen sehen – können Sie das nachvollziehen?

Michael Brenner: Es gibt natürlich Unterschiede zwischen den Generationen, aber auch innerhalb der Generationen. Häufig sind die von Ihnen angesprochenen Auffassungen bei Leuten zu finden, die sich in der Öffentlichkeit als Jüdinnen oder Juden zu erkennen geben. Ich glaube, wenn man repräsentative Umfragen machen würde, würde das Bild vielleicht anders aussehen – und der jüdische Baustein würde vielleicht auch häufig nicht der wichtigste sein. Diese zusammengesetzten Identitäten gelten durchaus für uns alle. Also man kann Bayer sein und man kann Protestant sein, man kann sich vorrangig als Europäer/in identifizieren, man kann sich hauptsächlich als Fußballfan identifizieren oder als jemand, dessen Leben im Trachtenverein stattfindet – auch all diese Dinge gehören doch zu unseren Identitäten. Das Problem ist nur, dass das Jüdische oftmals als „was anderes“ empfunden wird. Das mag auch daran liegen, dass die Zahl der Juden in Deutschland so gering ist – in den Vereinigten Staaten verhält sich das z.B. anders, da ist das gar nicht so etwas Besonderes.

EuP: In den letzten Jahren hört man häufiger wieder aus der jüdischen Community, dass man dran denke, wieder „den Koffer zu packen“, weil man sich in Deutschland nicht mehr so sicher fühle, wie das doch einige Jahrzehnte der Fall gewesen sei. Auf der anderen Seite gibt es doch eine wachsende Zahl von Israelis, die in die Bundesrepublik geht, vor allem nach Berlin, und sich dort wohlfühlt. Wie lässt sich das miteinander vereinbaren?

Michael Brenner: Das lässt sich ohne Probleme miteinander vereinbaren, weil jeder Mensch anders denkt und jeder Mensch auch den Antisemitismus anders empfindet. Es gibt viele Juden in Deutschland, die nicht mehr mit der gleichen Selbstverständlichkeit ihre Zukunft planen wie vielleicht vor 20 Jahren. Es gibt aber auch andere, die überhaupt nicht in Erwägung ziehen, aus Deutschland wegzugehen – und so gibt es eben auch Israelis, die nach Deutschland kommen und sich vor allem in Berlin wohl fühlen. Im Übrigen gehen auch Israelis wieder zurück. Insgesamt, denke ich, hat die Zahl derjenigen, die nach Deutschland gezogen sind, in den letzten Jahren wieder deutlich abgenommen. Der Boom, den Sie ansprechen, hat vor allem wohl in den frühen Zehnerjahren stattgefunden, die Zahl war auch nie so hoch. Das sind normale Bewegungen, nicht-jüdische Deutsche wandern ja auch ein und aus. In den letzten Jahren, das zeigen Umfragen, denken schon mehr jüdische Bürgerinnen und Bürger in Deutschland darüber nach, ob es denn anderswo sicherer sei als hier.

EuP: Welche Rolle spielt denn Israel als „Zufluchtsland“?

Michael Brenner: Das ist nicht unwichtig. Man muss sehen, dass sowieso ungefähr 80 Prozent der Juden in Deutschland selbst eingewandert sind oder Kinder dieser Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion. Diese Menschen sind ja nicht in Deutschland seit Generationen verwurzelt. Die jüdische Gemeinschaft selbst ist seit 1.700 Jahren hier ansässig – da gab es noch gar keinen deutschen Nationalstaat. Es lebten vielleicht schon Juden hier, als es noch gar keine Christen gab. Trotzdem ist die jüdische Gemeinschaft zum großen Teil auch eine Gemeinde mit Migrationshintergrund. So spielt bei vielen der Gedanke, nach Israel zu gehen, eine Rolle. Wieder andere wollen sich mit dem EU-Pass anderswo in Europa ansiedeln; wieder andere wollen in die USA – aber es kann ja auch nicht jeder einfach nach Amerika gehen. Insofern spielt Israel eine Rolle, wobei auch nicht jeder dorthin auswandern möchte, klar.

EuP: Wir erleben gerade angesichts der antisemitischen Demonstrationen in Gelsenkirchen und anderswo, dass der offizielle Teil der deutschen Gesellschaft (wieder) versucht, auf die jüdische Minderheit zuzugehen und die richtigen Worte zu finden. Wie verkrampft geht die deutsche Gesellschaft dabei mit ihren jüdischen Mitgliedern um?

Michael Brenner: Da würde ich wieder vor den Pauschalisierungen warnen, aber ich weiß, was Sie meinen. Ich habe z.B. erlebt, dass Menschen allein das Aussprechen des Wortes „Jude“ schwerfiel und sie lieber von „Menschen jüdischer Herkunft“ sprechen. Auch das Phänomen des sogenannten „Philosemitismus“ hat damit zu tun. Man hat manchmal das Gefühl, einfach anders, nicht unbedingt schlechter, aber anders behandelt zu werden. Und ich glaube schon, dass sich das in Ländern mit anderer Vergangenheit anders verhält. Aber da die Vergangenheit, über die wir sprechen, unzweifelbar weiter in die Ferne rückt, wird für jüngere Menschen der „natürliche Kontakt“ zwischen Juden und Nicht-Juden viel einfacher. Auf der anderen Seite ist auch der Antisemitismus heute schon recht stark. Ich kann mich nicht erinnern, in meiner Schulzeit auf dem Pausenhof oder im Fußballstadion das Wort „Jude“ als Schimpfwort gehört zu haben. Das sind Entwicklungen, die sich eher verstärkt haben, und wenn man das antisemitische Potenzial einer Partei wie der AfD ansieht, die den Holocaust verharmlost, dann betrifft das leider auch jüngere Wählerinnen und Wähler.

EuP: Auch „gut gemeinte“ Äußerungen, wie „jüdische Partys sind die besten Partys“ werden durchaus als diskriminierend aufgefasst, weil hier sozusagen im Gewand der positiven Zugewandtheit letztendlich diskriminiert wird.

Michael Brenner: Genau das meine ich mit diesem Stichwort „Philosemitismus“: wenn man eine Gruppe in irgendeiner Weise pauschalisiert, also wenn man sagt, Juden sind „besonders klug“ oder „besonders witzig“ und „jüdische Partys sind die besten“. Ich habe jüdische Partys erlebt, die langweilig waren. Das ist so ähnlich wie: „Alle Deutschen sind superordentlich“. Es sind Stereotype, die man kennt oder auch nur mal gehört hat, und man leitet sie auf eine ganze Gruppe ab. Man sollte vorsichtig sein, wenn man solche vermeintlichen Komplimente geben will, und vielleicht nochmal überlegen, was man da eigentlich zum Ausdruck bringt.

EuP: Wir haben die 1.700 Jahre jüdischen Lebens auf deutschem Gebiet dokumentiert. Wenn Sie als Historiker zurückblicken, würden Sie sagen, es gab Jahrhunderte, in denen man als Jude oder Jüdin doch sehr gut in Deutschland leben konnte, ohne große Verfolgung, ohne permanent Angst haben zu müssen?

Michael Brenner: Das ist eine gute Frage, die auch schwer zu beantworten ist. Ich würde die Geschichte als durchwachsen bezeichnen, und damit meine ich nicht nur, dass es wahrscheinlich immer Verfolgungen oder Diskriminierungen gab, sondern dass es auch die gute Seite eigentlich immer gab. Wir müssen uns sehr davor hüten, die jüdische Geschichte auf eine Verfolgungsgeschichte zu reduzieren. Es gab in jedem Jahrhundert einen jüdischen Alltag, der nicht vor allem von Verfolgungen geprägt war. Juden hatten dann nicht mehr Gefahren zu fürchten als etwa der christliche Bauer nebenan. Dieser war vielleicht von einer Hungersnot geplagt und hing – im Mittelalter – von seinem Lehensherrn ab, während vielleicht ein Jude in einer deutschen Stadt durchaus Freiheiten hatte, die nicht jeder auf dem Land hatte. Da muss man unterscheiden. Es gab Historiker, der den ersten Lehrstuhl für jüdische Geschichte überhaupt an der Columbia Universität in New York innehatte, Salo W. Baron. Dieser sagte mal, man müsse sich davor hüten, eine nur tränenreiche Geschichte der Juden zu schreiben. Die Geschichte der Juden hat auch sehr viele freudige Zeiten erlebt und Seiten, die nicht von Verfolgung geprägt waren. Aber ich würde das nicht auf ein Jahrhundert reduzieren. Es gab in jedem Jahrhundert Aufs und Abs. Es kam auf die jeweilige Region an. Im 19. Jahrhundert gelang es Juden etwa zum ersten Mal, wirklich Teil der deutschen Gesellschaft zu werden und trotzdem, wenn sie das wollten, Juden zu bleiben. Das Selbstgefühl vieler Juden ist am Ende dieses Jahrhunderts von einem Gefühl sozialer Integration und wirtschaftlichem Aufstieg geprägt. Und trotzdem gibt es natürlich parallel den Beginn des Rassenantisemitismus und den Beginn einer Auffassung, die dann im 20. Jahrhundert letztlich in der größten Katastrophe der Geschichte endete. Im Alltag der Juden des 19. Jahrhunderts war das noch wenig spürbar.

EuP: In Ihrem Buch „Der lange Schatten der Revolution“, das es auch bei der Landeszentrale zu beziehen gibt, beschreiben Sie, dass ein großer Teil des jüdischen Bürgertums in München angesichts mehrerer exponierter jüdischer Protagonisten der Revolution 1918/19 (die von einem großen Teil der Gesellschaft abgelehnt wurde) eine Welle des Antisemitismus fürchtete – die sich auf ihr Leben schlecht auswirken könne.

Michael Brenner: Es gab sehr unterschiedliche Reaktionen auf den ansteigenden Antisemitismus nach dem Ersten Weltkrieg. Ein Teil der jüdischen Gemeinschaft trug sein Jüdischsein sehr selbstbewusst aus; viele waren gleichzeitig ganz selbstbewusste Bayern und Münchner. Da gibt es ja viele Beispiele auch unter den orthodoxen Münchner Juden, wie die Familie des Schriftstellers Lion Feuchtwanger: Sie ging in die orthodoxe Synagoge, dann danach am Samstagnachmittag im Hofbräuhaus zum Kaffee trinken – oder auch Bier. Das war wegen des Reinheitsgebots koscher; nur zahlen durfte man am Samstag nicht und hat an diesem Tag anschreiben lassen. Ein interessantes Beispiel ist der Kommerzienrat Siegmund Fraenkel, der stellvertretender Vorsitzende der Münchner Handelskammer war und wie viele Juden königstreu und eigentlich eher konservativ eingestellt. Er hat sich ganz aus dem Fenster gelehnt und einen offiziellen Brief gegen die jüdischen Beteiligten der Revolution 1919 geschrieben. Trotzdem wurde er dann auf offener Straße in München von den frühen Nationalsozialisten zusammengeschlagen, auch seine Frau und sein Sohn wurden dabei verletzt. Er gehörte genauso zum Münchner Bürgertum, wie er sich auch in der orthodox-jüdischen Gemeinde in führender Stelle betätigte. Auch der Präsident der Gemeinde, Alfred Neumeyer (1867–1944), war eher politisch konservativ eingestellt, dabei ganz bewusster Bayer und beruflich Richter. Er war Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in München und über zwei Jahrzehnte lang des Landesverbands der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern. Man könnte noch viele nennen wie Kurt Landauer, den Präsidenten des FC Bayern, oder die Familie Schülein, die Eigentümer des Löwenbräu. Und da ist natürlich auf jeden Fall auch Kurt Eisner, der Begründer des Freistaates Bayern, zu nennen.

EuP: Eine Frage, die in eine persönliche Richtung geht. Ihre Mutter hat in einem Interview zu der Frage, warum Ihre Familie das Land nach 1945 nicht verlassen hätte, geantwortet, dass das erst nicht funktioniert habe, dass sie aber dann froh gewesen sei, weil sonst hätte ja Hitler sein Ziel, Deutschland „judenrein“ (sie hatte explizit dieses Wort benutzt) zu machen, im Grunde erreicht. Sie sind die nun nachfolgende Generation. Was sagen Sie mit einigem Abstand dazu?

Michael Brenner: Das ist schwer zu sagen, weil man ja nicht den anderen Weg kennt, den man gegangen wäre. Ich kann nur sagen, dass meine Mutter diese Entscheidung in ihren letzten Lebensjahren doch – wie viele Überlebende – wieder öfter angezweifelt hat. Für mich selbst ist es selbstverständlich gewesen, in Deutschland aufzuwachsen.

Ich stelle mir diese Entscheidung meiner Eltern in den 50er und 60er Jahren schwierig vor. Sie haben sich immer genau umgeschaut, mit wem sie es zu tun haben, bevor sie sich mit jemandem angefreundet haben: Was hatten die denn damals gemacht und so weiter. Wir sind in der Kleinstadt aufgewachsen, da gab es ja kaum die Möglichkeit, dass man jüdische Bekannte hatte. Ich habe mich schon manchmal gefragt, warum meine Eltern in Deutschland geblieben sind – angesichts der Geschichte meines Vaters, der verschiedene Konzentrationslager überlebt hat. Er kam ursprünglich aus Polen; seine Schwestern sind in die Vereinigten Staaten weitergewandert. Er selbst hat sich sein ganzes Leben lang in Weiden eigentlich recht wohl gefühlt, aber er hatte auch immer so ein bisschen ein schlechtes Gewissen gegenüber seiner Familie, die ausgewandert war. Da stand immer der unausgesprochene Vorwurf im Raum – wie könnt ihr eigentlich in diesem Land der Täter weiterleben? Ich hatte einen Onkel in den USA, der sich geweigert hat, jemals deutschen Boden wieder zu betreten; wir haben uns dann halt in Frankreich oder in Holland getroffen. In Deutschland hatten wir keine Verwandten mehr, weil die wenigen Überlebenden ausgewandert waren.

Für meine Mutter war es dann in den letzten 25 Jahren ihres Lebens sehr wichtig gewesen, über ihre Geschichte zu sprechen, und sie hat ihre Erinnerungen an das Überleben in Dresden in ihrem Buch „Das Lied ist aus“ veröffentlicht. Viele Überlebende konnten erstmal nicht sehr viel über ihre Erfahrungen sprechen, sie brauchten Zeit und dann haben sie sozusagen ihre Mission darin gesehen, vor allem jungen Leuten und vor allem in Schulen über ihre Erfahrungen zu berichten. Meine Mutter ist sehr viel, besonders in Dresden, in Schulen gegangen und hat darüber berichtet. Das hat für sie auch wirklich eine ganz große Bedeutung gehabt. Aber erst im Alter.

Interview: Monika Franz/ Robert Sigel
 

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