Themenforum Antisemitismus

Mit der Holocaust-Überlebenden Eva Erben im Gespräch

Mit der Holocaust-Überlebenden Eva Erben im Gespräch

Bild: „Ich und Du“ Künstlerin: Marion Kahnemann, Dresden/Fotografin: Christine Starke, Dresden
Eva Erben wurde 1930 in Decin/CSR geboren und mit elf Jahren 1941 zunächst gemeinsam mit ihrer Familie nach Theresienstadt, 1944 nach Auschwitz deportiert. Im Frühjahr 1945 überlebte sie einen Todesmarsch, weil sie sich in einem warmen Misthaufen schlafen legte und dort zurückgelassen wurde. Als einzige Überlebende ihrer Familie wanderte sie 1949 nach Israel aus, wo sie bis heute in Aschkelon lebt. Ihre Erinnerungen hat sie in einem Buch mit dem Titel „Mich hat man vergessen“ niedergeschrieben. Europa hat sie häufig bereist, unter anderem, um in Schulklassen mit Jugendlichen über ihre Erlebnisse zu sprechen oder auch in Tschechien jene Familie zu besuchen, die sie nach ihrer Flucht vor den Nazis aufgenommen und gepflegt hat.

EuP: Wann haben Sie den Begriff Antisemitismus in ihrem Leben zum ersten Mal gehört oder wahrgenommen, dass es so etwas wie Antisemitismus gibt?

Eva Erben: Ich war acht Jahre alt, als ich an einer Konditorei ein Schild gesehen habe mit der Aufschrift „Juden und Hunden ist der Eintritt verboten“, da ist mir klargeworden, dass irgendetwas komisch ist. Die Tschechoslowakei war vorher in keiner Weise antisemitisch. Auch wir haben dort als vollständig assimilierte Juden gelebt.  Wir haben zwar beispielsweise Pessach, aber auch Weihnachten gefeiert. Nach dem Einmarsch der Deutschen ist dann alles sehr schnell gegangen, die Nürnberger Gesetze wurden angewandt, wir mussten den gelben Stern tragen, durften weder in die Schule gehen noch ins Theater. Dann hat man uns die Wohnung genommen, unser ganzes Leben war völlig ruiniert. Die Generation meiner Eltern war damals aber der Überzeugung, dass das alles vorläufig sein müsse. Ein Hitler könne sich nicht lange halten, dachte man; das sei doch kein Mensch, sondern irgendein Ungeziefer. Damit müsse man leben, bis man ihn ausrotte. Dann war es aber umgekehrt gekommen.

EuP: Haben Ihre Eltern versucht, Ihnen zu erklären, was zu dieser Zeit passiert ist, sodass Sie als Kind etwa auch diesen gewalttätigen Antisemitismus einordnen konnten?

Eva Erben: Nein, es wurde aber übers Auswandern geredet. Mein Vater hätte als Ingenieur etwa nach Amerika oder Shanghai auswandern können; er wollte aber in der Tschechoslowakei bleiben, er sagte, wir müssten das aushalten.

EuP: War der Antisemitismus, der damals in der Gesellschaft in weiten Teilen verbreitet war, die Grundlage für den Holocaust? War der Antisemitismus die Triebfeder für den Mord an der jüdischen Bevölkerung?

Eva Erben: Nicht alle waren damals Mörder, aber die Politik war mörderisch und auch das gesellschaftliche Klima war teilweise mörderisch. Ein hoch angesehener Philosoph wie Martin Heidegger war Antisemit. Wie könnte ein solch gebildeter Mensch solche Gedanken haben? Ich habe jahrelang darüber nachgedacht, weshalb man die Juden so gehasst hat? Ich muss nicht jeden Menschen in mein Haus einladen wollen, aber ihn deshalb umbringen? Wieviel Juden haben damals den Nobelpreis bekommen? Wieviel Juden haben der Welt etwas gegeben, sei es im Bereich etwa der Medizin oder der Kunst? Vielleicht war der Hass pathologisch, vielleicht bei manchen religiös bedingt? Eifersucht, Intoleranz? Ich weiß es nicht!

EuP: Wie hat Ihre Familie, wie haben jüdische Freunde diesen Antisemitismus aufgenommen?

Eva Erben: Es gab ja gerade von Seiten der europäischen Juden damals gar nicht die Wahrnehmung, sich anders zu fühlen. Man hat sich deutsch gefühlt. Ich kann mich an einen Transport erinnern, der in Theresienstadt ankam. Da stiegen die Männer mit ihrem Eisernen Kreuz aus dem Ersten Weltkrieg aus dem Zug. Es gab so viele Professoren, Psychologen, gebildete Menschen, die bereit waren, für Deutschland zu sterben. Theresienstadt war deshalb auch wichtig, weil gerade diese Leute nicht einfach verschwinden konnten. Unter anderem waren die Schwester von Franz Kafka, Verwandte von Sigmund Freud oder Albert Einstein in Theresienstadt.Ganz lange war das ja auch der Glaube meines Vaters, das sind ja nicht die Deutschen, die Bücher verbrennen, das ist nicht das deutsche Volk. Die Deutschen, das sind Goethe und Schiller, humanistisch eingestellte und intelligente Menschen, aber keine Barbaren.

EuP: Woher kam der Antisemitismus damals, wie erklären Sie sich das heute?

Eva Erben: Ein glücklicher Mensch ist nicht antisemitisch, Antisemitismus ist die Krankheit eines Menschen, der neidisch und unzufrieden ist mit sich selbst. Der Antisemitismus ist also eine Krankheit der primitiven Gesellschaft, eine chronische, erbliche Krankheit.

Auch die christliche Kirche hatte damals vielleicht eine Schuld an der Verbreitung antisemitischer Vorurteile. Als ich befreit wurde und von Bauern in einem tschechischen Dorf gepflegt wurde, hat man mich beispielswiese gefragt: „Eva, du bist so ein prima Mädchen, warum habt ihr Christus gekreuzigt?“ Da habe ich nur geantwortet: „Ich war nicht dabei.“

EuP: Hat sich heute etwas verändert im Denken der Menschen?

Eva Erben: Wir haben uns verändert – mir ist das manchmal egal. Sollen Sie doch ersticken an ihrem Antisemitismus, das denke ich bisweilen. Hier spielt für mich der Staat Israel eine Rolle, er ist ein Schutzraum, in dem ich mich sicher fühle. Auch wenn wir hier beispielsweise keinen so schönen Frühling haben wie in Europa, fühle ich mich hier sehr wohl.

EuP: Da wir jetzt auch den Staat Israel angesprochen haben – laut einer in Deutschland nun in weiten Teilen akzeptierten Definition gehört auch pauschale und undifferenzierte Kritik an Israel heute in den Bereich des Antisemitismus. Wo läuft für Sie die Grenze zwischen legitimer politischer Kritik am Staat Israel und Antisemitismus?

Eva Erben: Ich glaube, Israel ist nicht immer „politically correct“. Aber welches Land ist das? Ich stimme auch bei weitem nicht immer der Regierung zu und der Mord an Rabin hat auch für mich vieles verändert, das hat mich damals fertiggemacht. Aber beispielsweise würde ich mir oft von den Medien eine differenziertere Berichterstattung wünschen. Etwa sollte erwähnt werden, dass die Hamas Demonstranten bezahlt, das ist oft nicht der Wunsch der Bevölkerung, diese Auseinandersetzung zu führen. Auch, dass viele Araber/Muslime in Israel leben, wissen viele nicht. Ich würde mir natürlich wünschen, dass sich die schrecklichen Zustände in Gaza ändern. Als Krankenschwester habe ich viele Familien aus Gaza in einem Krankenhaus hier behandelt, das war oft ein sehr herzliches Verhältnis. Es gibt auch immer wieder – gerade in der Bevölkerung – ein Miteinander und den gemeinsamen Wunsch nach Frieden. Über solche Begegnungen sollte man auch sprechen, das würde ich mir wünschen.

EuP: Was kann man aus der historischen Erfahrung Ihrer Meinung nach heute für den Umgang mit Antisemitismus lernen?

Eva Erben: Den Kindern in den Schulen sage ich immer, wenn sie mich fragen, ob ich jetzt nicht alle Deutschen hasse: „Für euch habe ich nur Liebe übrig, was könnt ihr für die Taten eurer Vorfahren. Aber ich bitte euch, gebt alles, damit so etwas nicht wieder passiert.“

Mir ist es wichtig zu sagen, dass man Leute nie danach sortieren sollte, welchen Glauben sie haben, sondern welche Art von Mensch sie sind.

Ich erinnere mich an eine Sache: Adolf Eichmann kam nach Theresienstadt und ist auf seinem Pferd das Trottoir entlang geritten, ich habe diese Szene gesehen. Plötzlich kam ihm ein kleiner Junge entgegen, ein kleiner blonder Junge von vielleicht sechs Jahren. Eichmann ist von seinem Pferd gestiegen, hat den Jungen gefragt, wie er heißt, und ihm ein Bonbon gegeben, er hat ihn gestreichelt und gesagt: „Schade, du bist ein Jude!“

EuP: Was wäre ihr Vorschlag, was kann man denn heute am besten gegen Antisemitismus tun?

Eva Erben: Nur Erziehung kann den Antisemitismus etwas entgegensetzen. Um ein glückliches Leben zu führen, muss man auch eine positive Grundeinstellung dazu haben, nicht zu jedem Menschen, aber zum Leben im Allgemeinen. Dazu gehört für mich auch eine positive Wahrnehmung der Religionen. Ich habe den Koran und auch die ganze Bibel gelesen, ich sehe da überall viele gute Gedanken, die die Menschen dann in der Umsetzung oft zunichtemachen. Ich habe ja gesagt, dass ich den Antisemitismus wie eine Krankheit sehe. Man kann sich vielleicht dagegen impfen, mit Intelligenz und Wissen. Wenn Sie etwas wissen, sind Sie ein freier Mensch und können sich alles erklären. Die schlimmsten Leute im Lager waren primitive Leute.  Nicht jeder Mensch ist gleich, das zu verstehen und zu akzeptieren, muss das Ziel der Erziehung und Bildung von uns allen sein.

Die Aussagen der Interviewpartner/innen stellen keine Meinungsäußerung der Landeszentrale für politische Bildungsarbeit dar. Für die Inhalte der Äußerungen tragen die Befragten die Verantwortung.
 
 

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